Stadtrat vor der Sommerpause

10.07.2020 Anfang Juli, letzte Sitzung des Stadtrates vor der Sommerpause.

Schon wieder Pause, nachdem der Oberbürgermeister erst vor wenigen Wochen in den Tagen der Ausrufung der Pandemie die kommunalpolitischen Gremien ungefragt in die Zwangspause schickte und über geraume Zeit sämtliche Sitzungen absagte?

Die Ratsarbeit in den Zeiten der Corona

Dem totalen Lockdown folgten dann Wochen mit Ausschusssitzungen oder -beratungen im sogenannten vereinfachten schriftlichen Verfahren, für das das Innenministerium den Weg frei machte. Allerdings konnte weder zusammen gesessen noch beraten werden. Die Mitglieder wurden nur schriftlich abgefragt, ob sie den jeweiligen Beschlussvorlagen des OB zustimmen, oder diese ablehnen. Ein Meinungsaustausch mit den Mitgliedern anderer Fraktionen und der Verwaltung fand nicht statt. Nachfragen, Vorschläge, Änderungsanträge konnten nicht gestellt werden, Diskussionen und die gemeinsame Suche nach Kompromissen und besten Lösungen waren nicht möglich. Beschlussvorlagen unserer Fraktion wurden vom Rathaus zurückgewiesen. Alle demokratischen Prinzipien wurden außer Kraft gesetzt, obschon die Sitzungen des Rates und seiner Ausschüsse zu keinem Zeitpunkt per Gesetz bzw. Verordnungen der Landesregierung untersagt waren. Auch die Organisation von Videokonferenzen, in denen Räte und Verwaltung miteinander hätten reden können, war der Verwaltung unter dem Oberbürgermeister nicht möglich. Was in Schulen und selbst manchen Kindertagesstätten zur neuen Normalität wurde, überstieg die Möglichkeiten des Rathauses unserer Heimatstadt – oder war es nur nicht gewollt und man war ganz froh, dass der Stadtrat die Kreise nicht mehr störte?

Erst nachdem verschiedene Stadträte und Ausschussvorsitzende – insbesondere auch aus unserer Fraktion – massiven Druck aufmachten, musste der Oberbürgermeister seine Blockadehaltung aufgeben und wieder zu ordentlichen Sitzungen laden, die unter den gegebenen Sicherheits- und Abstandsregeln auch schon Wochen zuvor hätten problemlos stattfinden können. Nun begann ein regelrechter Sitzungsmarathon, in dem einige Stadträte fast jeden Tag in der Woche Ausschusstermine wahrzunehmen hatten.

Bereits die mit 37 Punkten überlange Tagesordnung der Junisitzung des Stadtrates zeugte davon, nun im Juli sah es ähnlich aus. Unmittelbar vor der Sommerpause wie auch vor Weihnachten ist das allerdings auch in den Vorjahren nie anders gewesen. Nach den Belastungen in den letzten Wochen wird wohl jeder aktive Stadtrat froh sein, die letzte Sitzung hinter sich zu bringen und der Pause als einer wohlverdienten entgegen sehen.

Sportlich anspruchsvoll

Das Ende dieser Stadtratssitzung dürfte nach spätestens einer Stunde auch jeder geneigte Zuschauer ersehnt haben. Für den war die Sitzung in der Sporthalle des Berufsschulzentrums durchaus eine sportliche Herausforderung. Auf den Holzbänken ohne Lehnen wurde es schnell anstrengend zu sitzen. Hinzu kam die unmögliche Aufgabe, die Sitzung akustisch zu verfolgen. Die Tontechnik war so schlecht eingerichtet, dass insbesondere die tiefen Stimmen der männlichen Redner oft völlig unverständlich waren und man sich den Inhalt aus einzelnen aufgefangenen Wortfetzen zusammenreimen musste. Die weiblichen Rednerinnen waren deutlicher vernehmbar, wenn auch meist viel zu leise. Nur wenige redeten deutlich und nah genug an den Mikrofonen, um im Publikum gut verständlich anzukommen. Es bleibt eine höchst fragmentarische Erinnerung an diese Sitzung und heftiger Ohrmuskelkater.

Geschäftsordnungsfragen

Und bevor es besser wird, muss es bekanntlich erst noch einmal schlimmer werden. Der eigentliche Beginn der Sitzung wurde von einer langen wie weitgehend akustisch unverständlichen Geschäftsordnungsdebatte zur Tagesordnung nach hinten verschoben. Der Antrag unserer Fraktion, eine Beschlussvorlage der Linken gemäß der Kommunalverfassung zunächst in die Ausschüsse zur Vorberatung zu verweisen, wäre gar nicht diskutabel gewesen, das Gesetz schreibt die Verweisung für diesen Fall ja vor. Dennoch ließ der Stadtratsvorsitzende etliche Redner ihre Meinung dazu vorbringen. Parallel wurde ein weiterer Verweisungsantrag zu einer anderen Beschlussvorlage des JHA diskutiert. Wer gerade zu welchem Punkt spricht, blieb oft unklar. Der Vorsitzende hätte die Sache sicher erleichtern können, wenn er diese Diskussion etwas strukturiert hätte.

Warum haben wir den Beschlussvorschlag der Linken für eine Lehrstelleninitiative der Stadtverwaltung verweisen lassen? Der Antrag zielte darauf ab, dass Verwaltung und städtische Betriebe in diesem Sommer mehr Ausbildungsplätze für diejenigen schaffen, die im Augenblick ihre Schullaufbahn gerade beenden. Klingt gut. Aber es stellt sich eine Reihe von Fragen. Wie kann eine im Juli beginnende Offensive bereits wenige Wochen später Erfolge bringen? Gibt es überhaupt zu wenige Ausbildungsplätze, oder eher zu wenige geeignete Auszubildende? Was hat die Stadt diesbezüglich bereits getan, welche Stellen werden angeboten, welche werden angenommen? Welche Voraussetzungen müssen zutreffen und geschaffen werden, um das Angebot erweitern zu können? Viele Fragen, Fragen die in den zuständigen Ausschüssen geklärt werden müssen und nicht ad hoc vom Stadtrat per unvorbereitetem Beschluss zu lösen sind.

Dass die Linke nicht grundsätzlich daran interessiert ist, Fragen problemorientiert zu lösen und gemeinsam etwas voranzubringen, sondern eher Interesse an publikumsorientierter Selbstdarstellung per Schlagworten in den öffentlich beachteten Ratssitzungen zeigt, wäre eine Unterstellung. Wenn man sich das Gebaren dieser Fraktion anschaut, liegt die Vermutung aber nicht ganz fern. 2019 und 2020 hat sie fünf Beschlussvorlagen eingebracht. Nicht eine einzige hat sie zunächst den zuständigen Ausschüssen zur Vorberatung vorgelegt, wie es die Kommunalverfassung gebietet, gängige Praxis ist und eigentlich selbstverständlich wie zielorientiert wäre. Der Schwarze Peter, den Frau Ehlers uns wegen unseres Verweisungsantrages lautstark und impulsiv zuschieben wollte, bleibt auf der Hand der Linken. Ihre Ausführungen, dass sie diesen Vorschlag ja bereits bei der letzten Ratssitzung angekündigt habe, beweist nur, dass die Linke genug Zeit hatte, diesen zuvor in die Ausschüsse einzubringen. Dann hätte gegebenenfalls einer Beschlussfassung nun nichts entgegen gestanden.

Wie die Linke agiert auch die Fraktion der AfD. Ihre wenigen Schlagworte zielen vielleicht auf ein etwas anderes Klientel ab, formal sind sich beide Fraktionen sehr ähnlich.

Berichte, Bürgerfragen, Informtionen

Die Sitzung begann dann endlich. Die Berichte des Oberbürgermeisters. Es gab lange keine, deshalb war eine gewisse Länge sicher unvermeidlich.

Die folgende Einwohnerfragestunde war von der Schließung unserer Karstadt-Filiale bestimmt. Die Antworten des OB waren zumindest akustisch nachvollziehbar, was der Beigeordnete für Wirtschaft dazu ausführte, verwob sich ganz leise mit dem Rauschen der kosmischen Hintergrundstrahlung. Von Seiten der Fraktionen wurde Solidarität mit den Beschäftigten ausgedrückt, Lösungsvorschläge mussten angesichts der mangelnden Einflusssphäre des Stadtrates eher vage bleiben. Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Tagen gemeinsam Handlungsoptionen gefunden werden und zumindest die Landesregierung einbezogen werden kann, um für den Standort Dessau zu werben.

Anschließend durften auch die Stadträte wieder fragen. Anfragen und Informationen der Stadträte – der Tagesordnungspunkt, den manche Stadträte mit den Jahren zur großen bunten und hell erleuchteten Bühne der Selbstdarstellung gemacht haben. Der Stadtratsvorsitzende sorgte mitten im Stück dann plötzlich für Irritationen und Verdruss als er nach einer halben Stunde wie in der Geschäftsordnung vorgesehen den Vorhang wieder fallen ließ, ohne dass alle Interpreten ihr Programm bereits liefern konnten. Weil er ein umgänglicher Mensch ist, durfte dann aber doch noch eine Zugabe gegeben werden.

Jetzt geht‘s los

Und rucki zucki war man nach zwei vollen Stunden bereits bei der ersten Beschlussfassung. Der Sommer rückte nun merklich schnell näher. Fast alle Beschlussvorlagen waren nach den Vorberatungen in den Ausschüssen mehr oder weniger unstrittig und wurden rasch verabschiedet. Nur wenige Vorlagen boten noch Anlass für Diskussionen und Meinungsäußerungen.

Quartier am Leipziger Tor

So das Quartierskonzept Leipziger Tor. Das Jahrzehntprojekt, mit dem sich unsere bzw. schon unsere Vorgängerfraktion in der vorherigen Wahlperiode intensiv beschäftigte und diverse Vorlagen und Änderungsvorschläge einbrachte. Nachdem unsere letzten Vorschläge dazu auf Zustimmung stießen und die Verwaltung Beachtung zusicherte, wollten wir uns trotz Zweifeln im Detail und einiger Unzulänglichkeiten des Konzepts der Verabschiedung nicht entgegen stellen.
Wir verwiesen nur nochmals auf die Problematik der Beschulung. Alle Grundschüler werden in drei Schulen außerhalb des Stadtteils beschult, teilweise in Kochstedt. Wir sehen das höchst problematisch. Die förderliche soziale Wirkung einer Schule im Fördergebiet muss in der weiteren Schulentwicklungsplanung unbedingt eine Rolle spielen und betrachtet werden.
Ansonsten wurde von verschiedenen Fraktionen die Stärkung und Ausweitung des Quartiersmanagements angemahnt. Dazu hatte sich bereits Anfang 2019 der frühere Bauausschuss unter Zustimmung zu einer Beschlussvorlage unserer Fraktion einstimmmig positioniert. Allein die Verwaltung, hier die Bauverwaltung, zog daraus keinerlei Konsequenzen und folgte der Beschlusslage bis heute nicht. Erfreulich, dass nun auch andere Fraktionen darauf dringen, was zunächst nur wir thematisiert hatten. Es sei hier auch daran erinnert, dass die Mehrheit des Stadtrates im Dezember 2010 auf Vorschlag der Verwaltung das Quartiersmanagement im Stadtteil Leipziger Tor beendete und einen Beschlussvorschlag unserer damaligen Fraktion zur Fortführung ablehnte. Schön, dass sich in dieser Sache die Meinungen geändert haben.

Nordumgehung für den Stadteingang Ost?

Der zweite große Tagesordnungspunkt der Sitzung betraf das weitere Vorgehen zum Stadteingang Ost. Dieser wurde in den letzten Wochen umfänglich und hart diskutiert. Am Vortage einigten sich alle Fraktionen in einer eigens dazu einberufenen Beratung auf einen Kompromiss, in dem sich alle wiederfinden. Ergebnis war ein gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen, die sich auch darauf einigten, dass pro Fraktion nur einmal zur Sache gesprochen wird. Damit hielt sich die Befassung des Punktes in Grenzen und das Scheitern der Vorlage und ein damit verbundener Stillstand konnten abgewendet werden.
Dass CDU und einige Befürworter der Nordumgehung dem Beschluss hinzufügen ließen, im Rahmen der Verkehrsentwicklungsplanung die Wirkung des angestrebten Troges in der Ludwigshafener Straße auf den Sinn oder Unsinn der Ostrandstraße untersuchen zu lassen und die Auferstehung des längst Gestorbenen weiterhin ersehnen, hat schon religiöse Züge. Was sich wohl anders darstellt, ob die Ludwighafener Straße bei 57 oder 60 Meter über Null liegt? Wenn es der Stadt nicht viel Geld kosten würde, dies immer und immer wieder zu untersuchen, könnte man fast darüber lachen. Mit diesem Einschub können – nein, müssen wir leider leben, um am Stadteingang Ost weiter zu kommen. Die CDU blockiert schon seit Jahren die weitere Verkehrsentwicklungsplanung, weil die Ergebnisse aller Untersuchungen eine Ostrandstraße nicht rechtfertigen und die CDU sich den Fakten verschließt. Fataler als dieser Ergänzungswunsch der CDU wäre es gewesen, wenn sie nun auch noch die weitere Stadtentwicklung blockieren würde.

Kindertagesstätten

Irritationen und Nachfragen gab es noch bei den Beschlussfassungen zu den KiTa-Gebühren und der Versorgung mit gesunden Mahlzeiten in den Tagesstätten. Die Punkte, letzterer nach jahrelangen Erörterungen, waren an sich unstrittig. Nur formal hat die Stadtverwaltung bei der Einbringung wenig nachvollziehbar agiert, da Änderungen aufgrund der Meinungsbildung in den Ausschüssen nicht deutlich genug in die Vorlagendokumente eingearbeitet waren.

Schwarzkittel

Trichinenschau, die Gebühren von fünf Euro pro Schwein für die Jägerschaft wurden abgeschafft. Ob das dazu führt, dass nun mehr Wildschweine geschossen werden, mag erhofft wie bezweifelt werden. Ein Änderungsantrag aus unserer Fraktion führt immerhin dazu, dass die Regelung unabhängig davon gilt, ob ein Schwein vor oder hinter der Stadtgrenze erlegt wird und ob der Jäger seinen Wohnsitz in Dessau-Roßlau hat. Da auch in benachbarten Landkreisen so verfahren wird, dürfte der von der Finanzbeigeordneten befürchtete Trichinenschautourismus sicher kein Massentourismus werden.

Informieren oder Stimmung machen

Zur letzten Beschlussfassung des öffentlichen Teils verwies der OB vorab darauf, dass er gegebenenfalls einen Beschluss aus rechtlichen Gründen beanstanden müsse. So weit kam es aber nicht. Der Antrag der AfD, den Eintragungen von Ortskernen in das Denkmalregister der Oberen Denkmalbehörde von Seiten der Stadt zu widersprechen, wurde abgelehnt, da es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Gleichwohl teilten einige Stadträte die Kritik, dass die betroffenen Bewohner in den Stadtteilen zu wenig über das Verfahren und etwaige Folgen informiert wurden. Dies wies die Beigeordnete für Bauwesen zurück, aber die teils aufgeheizte Stimmung in Vororten könnte durchaus als Beleg dafür gelten, dass es an Informationen immer noch fehlt.

Damit wurde der Zuschauer in die Sommerpause geschickt, die neue Saison wird im August angepfiffen – vermutlich weiterhin vor begrenztem Publikum.

Conny Bläsing
Büroleiter

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