Dornröschen, wach auf!

14.06.2021 Dessau-Roßlau verschläft gerade die Veränderungen im Tourismus

Die Reiselust kehrt zurück. Viele von uns erkunden derzeit das Machbare, um einen schwer verdienten Urlaub verbringen zu können. Auch die Stadt Dessau-Roßlau steht wieder offen: Hotels, Ferienhausanbieter, Gästeführerinnen und Gastronomen richten sich auf die erhofften Gäste unserer Stadt ein.

Doch wer im Tourismus von einer Rückkehr zur Normalität von 2019 ausgeht, verkennt die laufenden Entwicklungen. Das gilt für den Tourismus insgesamt, ganz besonders aber für unsere Stadt als Tourismus-Standort.

Zu den allgemeinen Entwicklungen gehören der massive Einbruch im sogenannten MICE-Tourismus, der rasante Wachstum des einstigen Nischenprodukts Workation, die gestiegene Bedeutung des Inlandstourismus. Was heißt das im Einzelnen?

MICE (Meetings Incentives Conventions Exhibitions bzw. Events) sind in unserer Stadt vor allem der klassische Tagungs- und Kongresstourismus und ein paar von Unternehmen veranstaltete Anreiz- und Belohnungsreisen. Punktuell hat auch der Veranstaltungstourismus Bedeutung, am stärksten in der Zeit um das Kurt-Weill-Fest. Die Folgen der Pandemielage schlagen am stärksten im Tagungstourismus durch. Online-Formate ersetzen nach Einschätzung fast aller Expertinnen und Experten dauerhaft erhebliche Marktanteile, die Schätzungen liegen zwischen 50% und 75% Rückgang. In der Vergangenheit waren die beide großen Dessauer Hotels und einige andere relevant in diesem Geschäftsfeld aktiv. Sie brauchen im beginnenden Konkurrenzkampf und bei der Entwicklung von Alternativen die Hilfe der Stadt. Auf den Webseiten von Stadt und Stadtmarketinggesellschaft ist dazu nichts Aktuelles zu finden, möge es in Vorbereitung sein.

Auch WORKATION umschreibt eine Reiseform, welche infolge der Pandemie starken Veränderungen unterworfen ist. Das Anwachsen des Home-Office ermöglicht eine Verbindung von Reisen und Arbeit, der Markt wächst rasant. Einfach mal zwei Wochen das Tagesgeschäft mit inspirierender Umgebung und neuen Eindrücken verbinden, ist für manche Berufsgruppen attraktiv. Aber die Idee, dies in unserer Region zu tun, kommt nicht von allein – hier ist ein gutes Marketing notwendig. Vor allem bedarf es der notwendigen Informationen: Welche Ferienwohnung hat schnelles Internet? Welche Pension oder Hotel hat ein preislich attraktives Angebot? Auch dies ist hoffentlich bald auf unserer touristischen Website zu finden.

Der Inlandstourismus war schon vor der Coronakrise ein Wachstumsmarkt und wird es mit ziemlicher Sicherheit wieder werden. Deshalb ist es höchste Zeit für unsere Stadt, sich stärker als Ort für mehr als nur ein Wochenende, als Ziel für eine attraktive Woche darzustellen. Das kann nur gelingen, wenn wir das Umland und die benachbarten touristischen Schwergewichte von Wittenberg bis Leipzig als Teil unserer Attraktivität abbilden. Ebenso wichtig ist die Darstellung unserer eigenen Vielfalt. Erst mit Gartenreich und Auenlandschaft, Ausstellungen und Technikgeschichte, Kultur und Gastronomie entsteht die benötigte Attraktivität.

Daher halte ich es für falsch, als nächstes großes Event allein auf 100 Jahre Bauhaus-Gebäude zu setzen. Das Bauhaus-Jubiläum 2019 bescherte uns weltweite Aufmerksamkeit. „New-York-Times“, „Places to bee“- getragen von einem 100-Millionen-Etat des Bundes und einem großen Netzwerk war 2019 für unsere Stadt ein touristisches Jahrhundertjahr. Doch das ist Geschichte. Bis zum Pandemiebeginn hatte zum Beispiel das neue Bauhaus Museum Dessau eine überragende Auslastung. Wenn ich heute die vom Museums angebotenen Zeitfenster für einen Museumsbesuch betrachte, sehe ich eine nur mäßige Nachfrage. Das mag sich noch etwas normalisieren, aber kaum von allein.

2026, wenn das Bauhaus-Gebäude 100 Jahre wird, werden keine 100 Millionen fließen, hilft kein großes Netzwerk – ebenso wenig wie 2024, wenn wir 250 Jahre Gartenreich feiern, oder 2035 zum hundertsten Todestag von Hugo Junkers. Vielleicht gelingt es, mal wieder einen großes Event wie eine Bundesgartenschau zu veranstalten. Aber wir dürfen nicht darauf warten, wir müssen die Mühen der Ebenen annehmen.

Was uns von 2019 bleibt: Wir wissen, dass das Angebot Dessau-Roßlau funktioniert, begeistern kann. Mit Geschwindigkeit, kreativem Marketing und Kontinuität muss die Stadtmarketinggesellschaft aus der langen Pause kommen. Dem neuen Geschäftsführer wünsche ich dafür viel Erfolg.

Guido Fackiner
BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

Wir für Dessau-Roßlau